Umstrittene Fohlen-Prägung (Imprinting)

Text: Anna Castronovo

Gleich vorweg: Imprinting, was nichts anderes heißt als Prägung, ist sehr umstritten. Bei dieser Methode, die der amerikanische Tierarzt Dr. Robert Miller 1991 entwickelt hat, wird das neugeborene Fohlen unmittelbar nach der Geburt einem Training unterzogen. Das Fohlen wird – noch im Liegen – am ganzen Körper berührt, die Kopf-Hals-Partie sowie sämtliche Gelenke werden gebogen. Das Neugeborene lernt auch gleich das Rascheln von Plastiksäcken oder das Surren einer Schermaschine kennen. Auf die Hufe zu klopfen simuliert den späteren Besuch beim Schmied. Schließlich werden mit einem Plastikhandschuh und Vaseline Rektal- bzw. Vaginaluntersuchungen geübt. Die Stute wird während dem Imprinting von ihrem Fohlen ferngehalten. Diese Prozedur dauert so lange, bis sich das Tier nicht mehr wehrt und alles ruhig über sich ergehen lässt – das kann bis zu einer Stunde in Anspruch nehmen. Erst danach darf es aufstehen und bei seiner Mutter trinken.

Der Sinn der Sache: Das Fohlen soll auf den Menschen geprägt werden und dessen Berührungen als positiv abspeichern. Das Imprinting erleichtert angeblich auch den späteren Umgang mit dem Pferd, da es nicht erst mühsam an alles gewöhnt werden muss. Laut Dr. Miller haben Fohlen, die so behandelt wurden, keine Probleme Hufe zu geben, am Strick zu laufen oder später einen Sattel zu tragen.

Seine Methode leitet sich von der Prägungstheorie ab, die allerdings hauptsächlich an Vögeln erforscht wurde. Die entscheidende Prägung bei Küken geschieht tatsächlich im ersten Moment nach dem Schlüpfen. Wie in dem bekannten Kinderbuch „Herr Flupp und seine sieben Enten“ fixieren sie sich dabei auf das Lebewesen, das sie als erstes sehen, egal welcher Spezies es angehört.

Ist Imprinting gefährlich für die Gesundheit?

„Pferde sind doch keine Vögel“, ärgert sich Warmblut-Züchterin Iris Wenzel. „Für das Fluchttier Pferd ist es eine lebensbedrohliche Einschränkung auf dem Boden festgehalten zu werden.“ Und: „Meiner Ansicht nach wird beim Imprinting eine absolut unangemessene Manipulation an einem Neugeborenen vorgenommen. Das Fohlen wird zur Selbstaufgabe gezwungen, um an die so wichtige Muttermilch zu kommen.“ Verhaltensforscher sprechen hier von erlernter Hilflosigkeit.

Imprinting ist ihrer Meinung nach nicht nur purer Stress für Fohlen und Stute, sondern birgt auch gesundheitliche Risiken. Immerhin wird über einen erheblichen Zeitraum die Aufnahme von Muttermilch verhindert. Ein Fohlen muss aber so schnell wie möglich den Weg zum Euter finden und ausreichend Kolostrum trinken, weil es sonst sehr schnell an Kraft verliert. Nur in den ersten zwölf Stunden seines Lebens kann es über die Darmwand die Antikörper der Mutterstute aufnehmen und eine intakte Immunreaktion aufbauen. „Dafür muss es ausreichend große Mengen an Muttermilch trinken, was eine nicht zu unterschätzende Anstrengung für das Fohlen bedeutet“, warnt die Züchterin. „Wenn das Fohlen sich gleich nach der Geburt in einem Kampf mit dem Menschen verausgabt, ist das schlichtweg fahrlässig. Dann kann man schnell den Punkt verpassen, an dem das Fohlen zu schwach wird, um aufzustehen und sich selbst am Euter zu versorgen.“

Aufzustehen und genug Muttermilch zu trinken, ist eine nicht zu unterschätzende Anstrengung für das Fohlen. Hindert man es daran, kann man schnell den Punkt verpassen, an dem es zu schwach dafür wird.

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Auch bei der Stute kann einiges schief gehen. Das Glückshormon Oxytocin, das für eine Bindung der Stute zum Fohlen sorgt, wird nämlich vor allem dann ausgeschüttet, wenn das Fohlen säuft. Es trägt außerdem zu einer guten Rückbildung der Geburtswege bei. „Stress in dieser Phase kann zu Nachgeburtsverhalten führen und für die Stute gefährlich enden, wenn keine Behandlung erfolgt“, so Wenzel.

Wird die Bindung zur Mutter gestört?

Die Bindung zwischen Stute und Fohlen kann einschneidend gestört werden, wenn der Mensch sich in den ersten Stunden nach der Geburt zu sehr einmischt.

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Studien haben belegt, dass es die Bindung zwischen Stute und Fohlen einschneidend stören kann, wenn der Mensch sich in den ersten Stunden nach der Geburt zu sehr einmischt. Immerhin entsteht die soziale Bindung zur eigenen Mutter nicht durch bloße Berührung – auch Pheromone und das Sozialverhalten spielen eine große Rolle. Außerdem besteht ein Unterschied zwischen dem behutsamen Beschnuppern und Ablecken der Mutterstute, das normalerweise in dieser ersten entscheidenden halben Stunde nach der Geburt stattfindet, und dem menschlichen Abtasten des ganzen Körpers. „Geschieht dies zu heftig oder gar zu grob, kann sogar eine unangenehme bis traumatische Erfahrung mit dem Menschen abgespeichert werden“, sagt Iris Wenzel.

Deshalb lässt die Züchterin Stute und Fohlen bewusst ein paar Stunden alleine, bis das Fohlen sicher versorgt ist. Das bedeutet, dass das Fohlen alleine steht, bei der Mutter säuft und sich Darmpech abgesetzt hat. „Diese Zeit soll die Mutter haben, um eine Bindung zu ihrem Fohlen aufzubauen. Ich verfolge diese herzigen Momente gern über eine Kamera mit“, erzählt sie. „Gerade für Erstlingsmütter, die oft ein wenig überfordert in ihrer neuen Rolle sind, sollte dieses erste Kennenlernen so stressfrei wie möglich sein.“

Befürworter der Imprinting-Methode sagen, dass ein Fohlen keine Schwierigkeiten damit hat, sich neben der Prägung auf die Mutter in eine intensive Beziehung zum Menschen zu begeben. Grund hierfür sei, dass sich ein Fohlen auch mit anderen Herdenmitgliedern auseinandersetzen muss. „Bei genauer Beobachtung von gesunden Herdenstrukturen ist aber genau das Gegenteil der Fall“, sagt Wenzel. „Kein neugeborenes Fohlen kommt mit den anderen Herdenmitgliedern in Kontakt. Die Stute unterbindet rigoros die Kontaktaufnahme von anderen Pferden zu ihrem Fohlen und setzt sich damit sogar gegenüber ranghöheren Stuten durch.“ In der Regel wird sie von der Herde auch nicht bedrängt, obwohl alle Mitglieder darauf brennen, das frisch geborene Fohlen kennenzulernen. „Ich habe Geburten erlebt, bei denen andere Pferde im Halbkreis um die fohlende Stute standen und in respektvoller Distanz blieben, bis das Fohlen das erste Mal stand“, erzählt die Züchterin. Dann wird allenfalls die Nachgeburt akribisch untersucht, von dem Neugeborenen halten sich die anderen Stuten aber weiterhin fern, bis die Mutterstute den Kontakt ausdrücklich zulässt. Das dauert meist ein bis zwei Tage, nämlich so lange, bis die Bindung stark genug ist, dass das Fohlen seiner Mutter sicher folgt. Dann lässt die Mutter zu, dass sich sein Aktionsradius etwas vergrößert und andere Pferde Kontakt zu ihm aufnehmen dürfen.

Wann ist der richtige Zeitpunkt für den ersten Kontakt?

Genau das ist der Moment, ab dem man sich auch als Mensch unbesorgt mit dem Fohlen beschäftigen kann. Studien haben gezeigt, dass die Reaktion der Mutterstute auf den Menschen maßgeblichen Einfluss darauf hat, wie das Fohlen auf Menschen reagiert. Im Klartext: Reagiert die Stute gelassen und geht von sich aus auf den Menschen zu, wird das auch das Fohlen übernehmen. Legt sie allerdings noch die Ohren an oder reagiert abweisend, wird sich ihr Pferdekind dieses Verhalten von ihr abschauen. Deshalb sollte man abwarten, bis der erste extreme Beschützerinstinkt der Mutter nachgelassen hat. „Manche Pferdebesitzer scheinen Sorge zu haben, ein kritisches Zeitfenster zu verpassen, wenn sie sich nicht sehr früh mit dem Fohlen beschäftigen“, sagt Iris Wenzel. „Dafür besteht jedoch kein Grund, denn – anders als Vögel mit einer klaren Prägephase – sind junge Pferde immer in der Lage, eine gesunde Beziehung zum Menschen aufzubauen. Man muss sich nicht direkt nach der Geburt auf sie stürzen.“

Sobald es die Mutter entspannt zulässt, meist ein bis zwei Tage nach der Geburt, kann man sich mit dem Fohlen beschäftigen und auch schon mit ersten Übungen wie Aufhalftern und Führen beginnen.

Foto: I. Wenzel

Infokasten: Wissenschaftliche Studien belegen gestörtes Sozialverhalten

Seit Robert Miller 1991 das Imprinting-Training entwickelte, beschäftigten sich zahlreiche Studien mit dieser Methode. Sie kamen allesamt darin überein, dass Imprinting nichts mit dem natürlichen Prägeverhalten von Pferden zu tun hat und die Fohlen dabei massivem Stress ausgesetzt werden. Langfristige positive Folgen des Imprintings konnten nicht nachgewiesen werden. Selbst wenn von positiven Effekten berichtet wird, seien diese minimal, so die Verhaltensforscher. Zum Beispiel wurde die Reaktion von 25 Fohlen, die nach der Geburt einem Training unterzogen wurden, mit anderen 22 Fohlen verglichen, die kein Imprinting erfahren hatten. In den folgenden Monaten wurde die Reaktion auf Trainingsreize verglichen. Das Ergebnis: In den ersten zwei Monaten bewältigten die Imprinting-Fohlen die Aufgaben zwar schneller, ab dem dritten Monat waren jedoch keine Unterschiede mehr vorhanden (Simpson et al., 2002).

In einer Untersuchung der französischen Wissenschaftlerin Hausberger (2004) wurden 170 Jungpferde auf verschiedenen Gestüten in der Bretagne beobachtet. Das Ergebnis: Die Pferde, die erst während des Absetzens und im Jahr darauf intensiven Kontakt zu Menschen hatten, reagierten dabei sehr ruhig und gelassen. Im Gegensatz dazu waren viele Pferde ängstlich und nervös, die kurz nach der Geburt viel gehändelt wurden.

In der aktuellsten Langzeitstudie mit dem Titel „Neonatal Handling Affects Durably Bonding and Social Development“ (Hausberger et al., 2009) verglichen die französischen Verhaltensforscher sowohl kurz- als auch langfristige Folgen von Imprinting: Verglichen wurde das Verhalten von Pferden, die nach der Geburt eine Stunde lang von ihrer Mutter getrennt und gehändelt wurden, mit solchen, die ungestört mit der Stute zusammen sein konnten. Beim Händling selbst zeigten die Fohlen deutliche Stress- und Verteidigungs-Reaktionen. Sie hielten zwar irgendwann still, hatten dabei aber trotzdem einen hohen Muskeltonus, was auf eine sogenannte erlernte Hilflosigkeit hinweist. Dieses negative Erlebnis wird durch die Trennung von der Mutter noch verstärkt, resümieren die Wissenschaftler. Außerdem hatten die gehändelten Fohlen eine unsicherere Bindung zu ihren Müttern, hingen mehr an ihnen und spielten weniger. Im Alter von einem Jahr nach dem Absetzen zeigten alle Fohlen etwa das gleiche Verhalten in Bezug auf ihre verschiedenen Aktivitäten. Es gab allerdings deutliche Unterschiede im Sozialverhalten: Gehändelte Fohlen verbrachten mehr Zeit alleine als ihre Altersgenossen, und wenn sie interagierten, so taten sie das kämpferischer und aggressiver als die Fohlen, die nach der Geburt ungestört waren.

Autor

Anna

Gelernte Journalistin, die ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht hat: Anna schreibt über Reitlehre, Zucht & Sport, Medizin, Haltung & Fütterung. Sie reitet von Kindesbeinen an und besitzt ein eigenes Pferd.

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