Verladen mal anders

Text: Anna Castronovo

„Leg die Stange vor! Schnell!“, tönt es über den Hof, als meine dreijährige Stute soeben zum ersten Mal nervös den Hänger betritt. Mirella wurde in ihrem Leben bisher genau einmal transportiert: Vom Züchter zu mir. Und das war sicher alles andere als schön. Sie fuhr nämlich alleine drei Stunden auf kurvigen Straßen durchs Allgäu und durch Oberbayern. Sie kam verschwitzt und vollgeäpfelt an. Beim Aussteigen versuchte sie auf der Rampe umzudrehen, wobei sie prompt abstürzte und sich das rechte Fesselgelenk aufschürfte. Ihre Begeisterung, was Pferdehänger anging, hielt sich seitdem in Grenzen. Was tun?

Wenn ich mir schon ein junges Pferd anschaffe, möchte ich von Anfang an alles richtig machen, hatte ich mir vorgenommen. Die Dinge in Ruhe angehen, lieber etwas mehr Zeit investieren und davon ein ganzes Pferdeleben lang profitieren. Deshalb buchte ich den Kurs „Einmal verladen bitte“ bei Horsemanship-Trainer Michael Dold, der sich seit einigen Jahren intensiv mit diesem Thema beschäftigt.

Was ist beim ersten Hänger Kontakt wichtig?

Bei der Horsemanship-Methode geht das Pferd alleine in den Hänger, während der Mensch auf oder neben der Rampe bleibt.

Foto: Castronovo

Los geht's: In unserer ersten Trainingseinheit darf meine Stute Mirella ausgiebig am Hänger schnüffeln und alle Einzelteile abschlecken, den Gummibelag mit den Hufen bearbeiten, von vorne und von der Seite auf die Rampe steigen. Das findet sie gut. Schließlich siegen Neugier und Mut. Mit vorgerecktem Kopf sowie geblähten Nüstern geht sie kurz hinein und äpfelt gleich mal. Entspannt ist anders.

Michael zum Beispiel ist sehr entspannt. Er redet wenig. Wenn er redet, dann ruhig. Bewegt sich wenig. Wenn er sich bewegt, dann langsam. So ein Fels-in-der-Brandung-Typ. „Man muss dem Pferd Zeit lassen, selbst zu realisieren, dass ihm in der engen, düsteren Kabine nichts passiert. Denn als Fluchttier und Klaustrophobiker ist es zunächst eine extreme Überwindung dort hinein zu gehen“, erklärt er jetzt. „Deshalb wird anfangs jeder Schritt auf die Rampe belohnt. Solange es sich mit dem Hindernis auseinandersetzt, lasse ich das Pferd in Ruhe.“

„Anfangs wird jeder Schritt des Pferdes auf die Rampe belohnt“, erklärt Michael Dold.

Foto: Castronovo

Doch mit der Ruhe ist es plötzlich vorbei. „Leg die Stange vor!“, tönt es wieder über den Hof. Das ist der Stall-Schlaumeier. Ihr wisst schon: Der, der immer da ist, auf wundersame Weise alles mitbekommt und es deshalb immer besser weiß. „Die muss lernen, dass man aus dem Hänger nicht wieder aussteigen darf“, ruft er. „Wenn die das einmal raus hat, hast du verloren!“

Michael schüttelt den Kopf. Er kennt solche Situationen. „Pferde zu verladen ist für viele Menschen sehr angst- und stressbesetzt“, sagt er. Stimmt. Auch ich habe schon oft beobachtet, wie gleich mehrere Leute sich abmühen, ein Pferd mit Hilfe von Futter, Longen und Besen irgendwie in den Hänger zu bekommen. Um dann schnell die Stange vorzulegen und die Klappe zu schließen, damit es nur ja nicht wieder abhauen kann. Ganz ehrlich: Da hätte ich auch keine Lust mehr einzusteigen.

Darf das Pferd selbst wieder aussteigen?

Jetzt ruft unser Schlaumeier: „Die bricht sich noch die Beine!“. Denn ein weiterer großer Unterschied zwischen Horsemanship und konventionellem Verladen ist, dass das Pferd bei seinen ersten Versuchen immer wieder aus dem Hänger heraus gehen darf, damit es sich darüber versichern kann, dass ihm nichts passiert. Vor und zurück zu gehen ist nämlich sein instinktives Verhalten, um in brenzligen Situationen den Fluchtweg zu checken. „Dabei lernt es auch gleich, die Rampe rückwärts und gerade hinunterzugehen“, schmunzelt Michael, der meinen erschrockenen Blick sieht, als Mirella forsch und schief über die Rampe marschiert und prompt mit dem Huf an der Kante abrutscht. Zugegeben: Da muss ich mal eben tief durchatmen, doch Michael bleibt tiefenentspannt. „Die lernt das schon“, sagt er. „Und wenn sie es einmal richtig kann, wird das Risiko, dass sie sich beim Verladen verletzt, in Zukunft viel geringer sein.“

Soll der Mensch mit in den Hänger?

Beim zweiten Training darf Mirella gefühlte zwanzig Mal ein- und aussteigen, Schnappatmung hin oder her. Dabei bleibt Michael stets auf oder neben der Rampe stehen und schickt Mirella alleine hinein. „Es ist wichtig, dass dem Pferd von Anfang an klar ist, dass es im Transporter alleine sein wird“, erklärt er. „Führt man das Pferd hingegen, und es folgt einem vertrauensvoll, nur um es dann alleine zurückzulassen, kann das ein ziemlicher Vertrauensbruch sein.“ Stimmt. Aus dieser Perspektive hatte ich das noch nie betrachtet.

Ein anderer Aspekt, der für diese Art des Verladens spricht, ist die Sicherheit des Menschen. Denn im engen Hänger, wo man nicht ausweichen kann, passieren schnell Unfälle. Aber: „Von draußen kann sogar meine siebenjährige Tochter ihr Pony selbst verladen“, sagt er.

Draußen herrscht immer ein leichter Druck. Nur im Hänger kann das Pferd entspannen und wird gelobt. Dadurch wird es zur Belohnung im Transporter zu stehen.

Foto: Castronovo

Heute kommt eine neue Komponente hinzu: Mirella darf zwar aussteigen, aber Michael macht ihr draußen stets leichten Druck, bis sie wieder einsteigt. Im Hänger hat sie hingegen ihre Ruhe, wird gelobt und kann entspannen. „Dadurch wird sie immer lieber und länger im Transporter stehen“, erklärt der Trainer. Und das ganz ohne Futter. Wie jetzt – ich darf ihr kein Leckerli geben? Michael schüttelt den Kopf. „Wenn sie irgendwann tatsächlich transportiert wird, kannst du ihr natürlich ein Heunetz rein hängen, um ihr die Angelegenheit im wahrsten Sinne des Wortes noch schmackhafter zu machen“, sagt er. „Beim Training sollte man aber komplett auf Futter verzichten, sonst geht das Pferd nur deswegen hinein und nicht, weil es dem Menschen vertraut.“ Ich seufze. Ein paar Snacks würden die Motivation meines verfressenen Haflingers sicher enorm steigern. Aber ich wollte ja eine fundierte Grundlage ohne Tricks und doppelten Boden, auch wenn es etwas länger dauert.

Funktioniert die Methode immer?

Vor dem nächsten Training nimmt mich meine Reitlehrerin beiseite. „Ich habe ja schon ein paar Pferde transportiert in meinem Leben“, sagt sie. „Also, du mit deinem Cowboy, das ist ja alles schön und gut, aber das mit dem Verladen, das geht so nicht! Die muss da rein, Klappe zu und losfahren, damit sie was zu tun hat!“ Ich wechsle schnell das Thema und bin froh, dass wir hinter der Hecke trainieren. Was, wenn die Anderen alle Recht haben und ich hier mehr kaputt mache als ich richte?

„Mit Sanftheit und Geduld kann man gar nichts kaputt machen“, sagt Michael, als ich ihm von den Zweifeln meiner Stallkollegen berichte. Dann grinst er und erzählt: „In vielen Ställen werden Wetten auf mich abgeschlossen, ob die Methode klappt oder nicht. Bis jetzt hat sie immer funktioniert.“ „Mein härtester Fall hat 19 Trainings gebraucht“, sagt er. „Aber üblich sind etwa fünf bis zehn Einheiten.“ Und während er mir das alles erzählt, steht Mirella im Hänger. Und steht. Und steht. Bis Michael sie durch ein leichtes Schütteln am Strick wieder herausbittet. Das gibt´s doch nicht, denke ich. Super, nur drei Trainings. Pferd steht drin, wir haben das erledigt, oder? Dann können wir jetzt aufhören.

Schon wieder dieses Grinsen. „Warum sollten wir aufhören? Das war doch erst der Anfang.“ Denn nun kommt das Feintuning: Mirella lernt, dass sie nicht zurückdrückt, wenn hinter ihr die Stange geschlossen wird. Und dass sie mit dem Zurückgehen wartet, auch wenn die Stange wieder geöffnet wird. Michael pariert sie an jeder Stelle im Hänger oder auf der Rampe durch und schickt sie beliebig viele Schritte vor und zurück. Und das Beste ist: Das Ganze funktioniert auch bei mir!

Erst wenn das Pferd freiwillig und stressfrei im Hänger stehen bleibt, wird die Stange vorgelegt.

Foto: Castronovo

Wie mit Rückschritten umgehen?

Hochmotiviert beginne ich also bei Training Nummer vier, Mirella selbst zu verladen. Doch Madame hat heute keine Lust darauf im Hänger zu stehen. Sie geht zwar rein, aber auch gleich wieder raus. Schlechtes Wetter, die Koppeln waren zu, sie ist unausgelastet. Und weil ich sie nerve, stößt sie mich kurzerhand von der Rampe und ich verheddere mich im Seil. Zähneknirschend übergebe ich wieder an Michael.

„Es ist ganz typisch bei der Erziehung von jungen Pferden, dass eine Übung fünf Mal klappt und beim sechsten Mal nicht“, beruhigt er mich. „Und es ist ganz normal, dass es immer wieder zu Diskussionen kommt. Wichtig ist dann, dass der Mensch sich nicht verunsichern lässt und ruhig aber bestimmt bei seinem Programm bleibt, ohne nachtragend oder unfair zu werden.“ Das funktioniert nach einem einfachen Prinzip: „Ich beschäftige das Pferd bei einem Fehlverhalten und lobe es, wenn es etwas richtig macht“, sagt er. Denn Pferde lernen viel besser durch Lob als durch Strafe.

Gesagt getan. Michael lässt sich erstens nicht wegstoßen und zweitens lässt er Mirella auf der Rampe ein paar Schritte vor gehen, dann zurück, dann hinein, dann wieder heraus, bis sie zu sagen scheint: Moment mal, ich will aber hier drinnen bleiben. „Na gut“, schmunzelt Michael, „wenn Du unbedingt willst...“ Er hat seine Idee zu ihrer Idee gemacht und Mirella ist auch noch total stolz darauf, dass sie ihre eigene Entscheidung getroffen hat. Ein älplerischer Freigeist eben. Das ist wirklich rührend.

So arbeiten wir uns von Woche zu Woche durch Höhen und Tiefen, selbst wenn es mal nicht so gut läuft, klappt doch immer irgendetwas besser als beim letzten Mal. Und eines Tages weiß Mirella auch, dass nichts passiert, wenn die Klappe hoch geht, und das Rollo zu ist.

Und dann kommt er, der gefürchtete Tag: Wir müssen plötzlich in die Klinik. Große Aufregung, große Sorge. Wird alles klappen? „Zeig ihr erstmal den Hänger“, sagt die Frau vom Pferde-Taxi, doch bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hat, ist Mirella schon souverän eingestiegen. Dann leuchten die Rücklichter des Hängers durch den Nebel. Das Training hat zwar ein paar Wochen gedauert. Aber es hat sich gelohnt.

Happy End: Der erste Transport in die Klinik klappt trotz großer Aufregung reibungslos. Das Verladetraining hat sich gelohnt!

Foto: Castronovo

Autor

Anna

Gelernte Journalistin, die ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht hat: Anna schreibt über Reitlehre, Zucht & Sport, Medizin, Haltung & Fütterung. Sie reitet von Kindesbeinen an und besitzt ein eigenes Pferd.

Trainer

Michael Dold

Michael wuchs in einer Tiertrainerfamilie auf. Mit seiner Arbeit folgt er den Grundsätzen des Natural Horsemanship mit Einflüssen von Pat Parelli und Mark Rashid. Dabei ist er stets bemüht, Problemen mit Ruhe sowie Geduld zu begegnen und sie mit möglichst wenig Druck und viel Verständnis zu lösen. Weitere Infos findet Ihr unter www.nh-trainer.com.

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