Embryotransfer

Text: Anna Castronovo

Eine große Chance für die Stuten

Im Frühjahr 2018 sollen in Mount St. John 25 Fohlen auf die Welt kommen. Das Besondere daran: Sie entstanden allesamt durch Embryotransfer. Auf dem malerischen und hochmodernen Gestüt in Yorkshire, England, wird feinstes deutsches Dressurblut gezüchtet – und das nahezu ausschließlich mit Leihstuten. „Seit 2011 kamen bei uns rund 70 gesunde Embryotransfer-Fohlen auf die Welt“, erzählt Gestütschefin Emma Blundell stolz. Mittlerweile verfügt das Gestüt sogar über ein eigenes Labor.

Foto: Fotolia

Wie funktioniert Embryotransfer?

Das Verfahren erklärt Blundell so: „Die Stute wird während ihres Eisprungs besamt und es entsteht auf ganz natürliche Weise ein Embryo in ihrer Gebärmutter. Nach sechs bis acht Tagen wird er ausgespült, und isoliert.“ Dann wird der Embryo, der mit dem bloßen Auge in diesem Entwicklungsstadium noch nicht sichtbar ist, in die Gebärmutter der Leihmutter eingesetzt.

Wichtig dabei ist, dass der Zyklus der beiden Stuten synchron ist. Auf Mount St. John steht eine Herde von 65 Leihstuten als Leihmutter (auch Empfängerstuten genannt) zur Verfügung, damit man immer diejenige aussuchen kann, die den ähnlichsten Zyklus zur Spenderstute hat. Das ist natürlich purer Luxus und nur die wenigsten Züchter haben solche idealen Bedingungen. Deshalb wird in der Regel mit einer Hormonbehandlung nachgeholfen. Es ist theoretisch auch möglich, einen Embryo einzufrieren, bis eine geeignete Leihstute zur Verfügung steht, doch die Erfolgschancen sind dann deutlich geringer. Bei 98 % aller Transfers wird der Embryo daher frisch eingesetzt.

Rund 50 bis 70 % der Embryotransfers in Mount St. John führen zu einem gesunden Embryo. Davon wiederum kommen 70 % gesund auf die Welt.

Was ist für gute Fohlen entscheidend?

„Wir sind überzeugt davon, dass die Qualität der Empfängerstute ein wesentlicher Aspekt beim Embryotransfer ist“, sagt Blundell. „Dabei geht es allerdings nicht um ihre Bewegungsqualität, sondern in erster Linie um ihren Charakter, denn sie prägt und erzieht das Fohlen. Auch der allgemeine Gesundheitszustand muss gut sein, sie muss ausreichend viel Milch geben und sie darf bisher keine Probleme in der Trächtigkeit oder mit ihren Fohlen gehabt haben.“ Damit die Ähnlichkeit zur Mutterstute möglichst groß ist, stehen auf Mount St. John nur Warmblutstuten im Alter von vier bis zwölf Jahren und mit einem Stockmaß von 168-175 cm zur Verfügung. „Das sind die besten Voraussetzungen, damit gesunde und starke Fohlen auf die Welt kommen“, ist die Gestütschefin überzeugt. Denn Untersuchungen haben gezeigt, dass der Transfer von Embryonen auf kleinere Empfängerstuten auch kleinere Fohlen zur Folge hat. In einer Studie hatten die Fohlen, die als leibliche Mütter Vollblut-Stuten hatten, aber von Ponys ausgetragen wurden, etwa ein Geburtsgewicht von 32 Kilogramm, während Vollblut-Embryonen, die auch wieder von Vollblut-Leihmüttern ausgetragen wurden, ein Geburtsgewicht von 55 Kilogramm hatten.

Foto: Shutterstock

Warum ist Embryotransfer eine Chance für den Sport?

Das erste Fohlen aus einem Embryotransfer wurde bereits 1974 geboren, doch erst in den Neunziger Jahren begannen Züchter von Polo-Ponys in Südamerika damit, diese Technik kommerziell einzusetzen. Seit 2003 hat sich diese Technik auch in Deutschland etabliert. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die beste und fruchtbarste Zuchtzeit von Stuten entspricht genau ihrer besten und erfolgreichsten Sportzeit. Die Chance, welche der Embryotransfer den Züchtern bietet, ist es also, dass auch top Stuten während ihrer Karriere Nachwuchs bekommen können, ohne das Training länger als eine Woche unterbrechen zu müssen. Und das mitunter mehrmals im Jahr, ohne einem Geburtsrisiko ausgesetzt zu sein, und von verschiedenen Hengsten.

Genau in dieser nahezu beliebigen Reproduzierbarkeit von Pferden liegt auch die Skepsis gegenüber dem Embryotransfer begründet.

Was spricht für den Embryotransfer?

Emma Blundell sieht in diesem Verfahren eine große Chance für die Zucht, und auch für den Sport. „Leider wird oft mit Stuten gezüchtet, mit denen man sonst nicht viel anfangen kann“, sagt die Gestütschefin. „Doch die Qualität der Stute ist ganz entscheidend für die Zucht. Und Embryotransfer erlaubt es, nur mit den allerbesten Blutlinien zu züchten. Außerdem eröffnet er mehr Spitzenstuten die Möglichkeit einer Sportkarriere, anstatt schon als junges Pferd in die Zucht zu gehen. Das bringt wiederum sehr viel Qualität und Wettbewerb in den Sport, auch auf höchstem Niveau.“

Embryotransfer hat noch einen Vorteil: Das Verfahren erlaubt es, auch mit Stuten zu züchten, die auf normalem Wege keine Fohlen bekommen können, weil sie zu jung oder zu alt sind, oder weil sie schon Abgänge hatten. „Ich habe sehr viele positive Erfahrungen damit gemacht, mit älteren Stuten mittels Embryotransfer zu züchten, die selbst nicht mehr in der Lage waren, Fohlen auszutragen“, sagt Emma Blundell. „Das liegt oft daran, dass die Gebärmutter zu alt ist, um das Fohlen bis zur Geburt auszutragen. Wird der Embryo jedoch in eine jüngere und gesündere Leihstute eingesetzt, kann die Spenderstute noch einige Fohlen zeugen und man muss sie nicht aus der Zucht nehmen.“ Die Gestütschefin sieht auch einen allgemeinen Vorteil für Seniorinnen: „Mit Embryotransfer muss man ältere Stuten nicht mehr der Belastung aussetzen, ihre Fohlen selbst auszutragen, auch wenn es noch möglich wäre. Sie können also glücklich und gesund weiterleben und trotzdem noch mehrere Jahre lang Nachwuchs zeugen.“

Foto: Shutterstock

Autor

Anna

Gelernte Journalistin, die ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht hat: Anna schreibt über Reitlehre, Zucht & Sport, Medizin, Haltung & Fütterung. Sie reitet von Kindesbeinen an und besitzt ein eigenes Pferd.

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

* Pflichtfelder müssen ausgefüllt werden

Zurück