Bodenarbeit und Gelassenheitstraining Teil III

Text: Anna Castronovo, Fotos: Heike Gürtler

Abstreichen und Helikopter

In Teil I unserer Serie Bodenarbeit und Gelassenheitstraining haben wir Euch die Hilfengebung in vier Phasen und das richtige Loben erklärt sowie die ersten beiden wichtigen Basisübungen vorgestellt: Abstand halten und Führtraining. Heute geht es um das Abstreichen mit Stick oder Gerte und um den sogenannten Helikopter.

Abstreichen

Unsere Menschenarme sind leider ziemlich kurz. Auf jeden Fall zu kurz, um das Pferd an seinem langen Körper immer gerade dort zu berühren, wo wir es für die Bodenarbeit bräuchten. Damit wir unsere Position nicht verlassen müssen, nutzen wir deshalb eine Touchiergerte oder einen Stick als verlängerten Arm. Damit unsere Pferde keine negative Erfahrung mit der Gerte verbinden, müssen wir als erstes Vertrauen zu unserem Hilfswerkzeug – und natürlich zu uns – herstellen. Denn unter Anspannung oder gar mit Angst können Pferde schlecht bis gar nicht lernen.

Als erstes müsst Ihr Euer Pferd mit dem Hilfswerkzeug vertraut machen.

Los geht's: Lasst Euer Pferd am langen Führstrick ruhig stehen, zeigt ihm die Gerte und lässt ihm Zeit daran zu schnuppern. Dann fahrt damit langsam über Hals, Brust und Rücken, als würdet Ihr es streicheln, bis es sich entspannt. „Wenn das Pferd ausweicht, ist es wichtig, die Gerte oder den Stick trotzdem nicht wegzunehmen, sondern am Pferd dran zu bleiben“, erklärt Pferdetrainer Michael Dold. Das hat zwei Gründe: „Erstens soll das Pferd lernen, dass Flucht keine Option ist und es sich einer Situation nicht dadurch entziehen kann, dass es weggeht. Zweitens soll es ja die Erfahrung machen, dass nichts Unangenehmes passiert.“ Und jetzt kommt das Wichtigste: „Bleibt das Pferd stehen, den Stick sofort wegnehmen!“ Der Lerneffekt: Wenn ich ausweiche, bringt das gar nichts. Aber wenn ich stehen bleibe, wird es deutlich angenehmer. „Da Pferde nur 3 Sekunden lang eine Handlung mit einer Konsequenz in Verbindung bringen können, ist es wichtig, dass unsere Reaktionen immer sofort erfolgen – in diesem Fall das Wegnehmen des Sticks“, erklärt Dold. „Dann loben und warten, bis sich das Pferd wieder entspannt. Dies wird so oft wiederholt, bis das Pferd ruhig stehen bleibt.“

Hat sich Euer Pferd an den Stick gewöhnt, könnt Ihr es auch an empfindlicheren Stellen berühren, wie zum Beispiel am Kopf.

Klappt das, könnt Ihr damit beginnen, das Pferd auch an empfindlicheren Stellen zu berühren: An den Beinen, unterm Bauch, und – vorsichtig! – auch am Kopf. Ziel ist es, dass Euer Pferd entspannt steht, während Ihr um das ganze Tier herumgehen und es überall mit der Gerte berühren könnt. Probiert aus, ob es lieber fest oder leicht berührt werden möchte. Ihr könnt es auch mit dem Stick am Widerrist kratzen oder ihm das Seilchen über den Rücken werfen.

„Verlässt das Pferd seine Position, einfach ruhig mit ihm mitgehen, gegebenenfalls etwas sanfter werden, aber trotzdem konsequent mit der Übung weitermachen, bis es wieder stehen bleibt“, sagt Michael Dold. Dann, genau wie oben erklärt, den Stick sofort wegnehmen und loben. Bei einem Pferd, dem die Übung noch unangenehm ist, lieber kurze Einheiten machen und diese positiv beenden. Dann wird es bald lernen, entspannt stehen zu bleiben – irgendwann auch frei, ganz ohne Führstrick.

Der Helikopter

Steht Euer Pferd entspannt und lässt sich überall abstreichen, könnt Ihr noch eins draufsetzen: Macht Lärm mit Eurem Stick. Klopft damit auf den Boden, schnalzt mit dem Seilchen in der Luft oder lasst es über dem Pferd kreisen und sirren wie einen Hubschrauber. „Bei dieser Übung baut das Pferd nicht nur Vertrauen auf, es lernt auch, zu unterscheiden, ob es gerade angesprochen wird oder nicht“, erklärt Dold. Denn genauso, wie es bereits auf einen gezielten Blick hin ausweicht, kann es auch lernen, nicht zu reagieren. Egal was man alles Wildes um das Tier herum veranstaltet. Wichtig: Dazu muss vor allem der Mensch lernen, seine Energie ganz bewusst einzusetzen, oder eben auch nicht – eine wichtige Voraussetzung für die Bodenarbeit!

Konkret heißt das: Schaut Euer Pferd nicht an und behaltet unbedingt eine entspannte Körperhaltung bei, wenn Ihr das Seilchen schwingt oder die Gerte auf den Boden klopft. So teilt Ihr ihm mit: Du kannst völlig entspannt bleiben, ich bin es ja auch. Ich meine dich gar nicht.

Wenn das Abstreichen geklappt hat, könnt Ihr einen Schritt weitergehen: schnalzt mit dem Seilchen in der Luft oder lasst es über Eurem Pferd kreisen.

„Wichtig ist, die Übung langsam Schritt für Schritt aufzubauen, damit das Pferd nicht überfordert oder vielleicht sogar erschreckt wird“, sagt Michael Dold. Das wäre natürlich völlig kontraproduktiv. „Je nach Charakter, Sensibilität und möglicherweise schlechten Erfahrungen muss man mit manchen Pferden eher leise und vorsichtig umgehen, um Vertrauen aufzubauen. Bei einem unsicheren oder ängstlichen Tier unbedingt jeden kleinen Teilerfolg loben und viele Pausen machen!“ Andere Pferde sind eher unempfindlich und gelassen, da kann man schneller und lauter vorgehen – das ist, wie immer, sehr individuell. „Im Zweifelsfall lieber etwas zu viel Geduld mitbringen, als zu wenig“, so der Pferdetrainer.

Es lohnt sich. Denn es ist ein tolles Gefühl, wenn man das erste Mal um das ganze Pferd herumgegangen ist, hinter ihm mit der Peitsche auf den Boden gehauen oder mit dem Seilchen geschnalzt hat, und es ist trotzdem einfach vertrauensvoll stehen geblieben.

Viel Spaß beim Üben!

Trainer

Michael Dold

Michael wuchs in einer Tiertrainerfamilie auf. Mit seiner Arbeit folgt er den Grundsätzen des Natural Horsemanship mit Einflüssen von Pat Parelli und Mark Rashid. Dabei ist er stets bemüht, Problemen mit Ruhe sowie Geduld zu begegnen und sie mit möglichst wenig Druck und viel Verständnis zu lösen. Weitere Infos findet Ihr unter www.nh-trainer.com.

Autor

Anna

Gelernte Journalistin, die ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht hat: Anna schreibt über Reitlehre, Zucht & Sport, Medizin, Haltung & Fütterung. Sie reitet von Kindesbeinen an und besitzt ein eigenes Pferd.

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